Gerhard Gruber - Stummfilm Silent Movie

Stummfilm Silent Movie Film Muet

Stummfilm - Silent Movie Gerhard Gruber



Stummfilm und Improvisation

Den Berichten über die Anfänge der Filmmusik zufolge hatten die damals im Einsatz stehenden Pianisten vor allem zwei Aufgaben zu erfüllen: zum einen sollten sie das ständige "Gesumme und Getöse" (New York Times 1896) der Vorführmaschinen neutralisieren, zum andern dem Zuschauer die - aus dem Widerspruch von Wirklichkeitsnähe der Filmbilder und der unwirklichen Stille entstehende - Angst nehmen. Zudem spielte natürlich die Untermalung (meist aus klassischer, romantischer und improvisierter Musik bestehend ) eine Rolle.

Mit dem Auftreten des Spielfilms stiegen die Ansprüche an den Musiker. Die Filme wurden länger; Schnitt, Szenenwechsel, dramaturgische Feinheiten erforderten ein differenzierteres Spiel und mehr Wendigkeit in der Begleitung. Als Hilfsmittel kamen die sogenannten 'Cue Sheets' in Umlauf - nach Themen wie Liebe, Ruhe, Jagd, Tänze, Horror etc. alphabetisch geordnete Musikalben vorwiegend aus dem Bereich der Romantik, deren sich die Pianisten nun bedienten.
Durch das kräftige Wachstum der Filmindustrie und die gleichzeitige Hinwendung an die bürgerliche Schicht wanderte der Film aus dem Spielhallenmilieu (Penny Arcades/ Nickelodeons) in die den Theater- und Opernhäusern nachempfundenen großen Lichtspieltheater. Mit ihnen entstanden auch die großen Kinoorchester, die mehr und mehr den "Mann am Klavier" ablösten. Soweit ein kurzer geschichtlicher Abriß. Der Trend zur Präzisierung und Perfektion hat allem Anschein nach damals die improvisierte Musik verdrängt. Wo liegen die Beweggründe heute, improvisierte Klaviermusik zu Stummfilmen zu spielen, ohne bloß das nostalgische Element zu bedienen ?

Oberflächlich betrachtet mag die Improvisation den schlechten Beigeschmack des eben "Improvisierten aus Mangel an Vorbereitung oder vorhandenem Material" an sich haben. Soweit sie undifferenziertes Geklimper als Lückenbüßer und Füllmaterial ist, trägt sie dieses Etikett zurecht.

Dass die Improvisation aber Kraft und Spannung durch das im Moment Entstehende zu erzeugen imstande ist, gibt ihr gerade im Stummfilm einen berechtigten und sinnvollen Platz. (Intensität, Emotion, Witz und Humor sind Attribute des lebendigen, nicht vorgefertigten menschlichen Ausdrucks.) Es geht nicht darum, in nostalgischer Weise die Situation der ersten Filmzeit wieder heraufzubeschwören, sondern aus der Verbindung von lebendiger Musik mit den "lebenden" Bildern Neues entstehen zu lassen - eine Alternative im Zeitalter der Verpackungs- und Konfektionskultur.

(Gerhard Gruber 1991)